Ennstaler Steirerkas: Der lange Weg vom "Urkäse" zum europäischen Patent "Geschützte Ursprungsbezeichnung g.U."

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Ennstaler Steirerkas
Logo "Ennstaler Steirerkas".

"Ennstaler Steirerkas": Der lange Weg vom "Urkäse" zum europäischen Patent "Geschützte Ursprungsbezeichnung g.U.", ein Beitrag von Marianne Gruber und Wolfgang Otte in "Da schau her 2021 Ausgabe 2".

Der lange Weg vom "Urkäse" zum europäischen Patent "Geschützte Ursprungsbezeichnung g.U."

Wenn wir uns im Rahmen dieses Beitrags mit einem "Urkäse" regionalen Ursprungs beschäftigen, dann wollen wir die ihn betreffende Zeitrechnung in der provinzialrömischen Epoche beginnen lassen, wohl wissend und eindrucksvoll von den Forschungen der ANISA mit ihrem Obmann Franz Mandl belegt, dass auf dem Dachsteinplateau bereits in der Bronzezeit eine Art von Almwirtschaft betrieben wurde. Das bedeutet, dass bereits um 3000 vor unserer Zeitrechnung im Ennstal in Höhenlagen um und über 2 000 Meter Milchprodukte erzeugt wurden. Nach dem heutigen Forschungsstand können wir allerdings noch nicht sicher beurteilen, wie diese beschaffen waren. Sicher erwiesen ist aber, dass die einfache Methode, Käse aus gesäuerter Magermilch zu erzeugen, in unserer Region bereits in vorrömischer Zeit verbreitet war und sich über die Jahrhunderte bis in die Gegenwart überliefert hat. Mit ausschlaggebend wird wohl auch gewesen sein, dass Kälber (zwecks Gewinnung von Lab) kaum geschlachtet wurden, da ausgewachsene Kühe als Milch- und Fleischlieferanten bevorzugt wurden. "Dass die alpine Käsetradition über Jahrhunderte von Mager- und Sauerkäsen geprägt war, ist auf die hierarchische Verteilung der Nahrung zwischen städtischer Oberschicht und ländlicher Unterschicht zurückzuführen. Das Milchfett den Reichen, der Magerkäse den Armen: so lautet die Regel." Der bisher älteste Nachweis in der Region findet sich in einem Urbar von 1434, das im Archiv des Benediktinerstiftes Admont aufbewahrt wird: Obwohl die Art des Käses, der gezinst wurde, nicht aus den Aufzeichnungen hervorgeht, lässt sich durch die gleichzeitige Abgabe von Butterschmalz auf eine Verarbeitung von Magermilch schließen. Die in Relation zu den Fettkäsen geringe Größe und das entsprechend niedere Gewicht führten dazu, das die Erzeugung von Magermilchkäse und des "Ennstaler Steirerkas" ganz im Besonderen eine Domäne der Frauen auf den Almen wurde und bis heute blieb.

Wie gestaltete sich nun der Weg von der ersten Idee eines Patentantrags bis hin zur Patentübergabe, die im Herbst 2022 stattgefunden hat?

Im Jahr 2010 gründeten Almbäuer*innen aus den Sölktälern gemeinsam mit dem Naturpark Sölktäler und mit Marianne Gruber vlg. Ritzinger von der Viehbergalm, Gröbming, den Verein "Ennstaler Steirerkas", der alle Kräfte zur Positionierung des "Ennstaler Steirerkas" als regionale Marke bündeln sollte. 2012 unternahmen Bäuer*innen aus dem Bezirk Liezen eine Lehrfahrt in die Schweiz, bei der Käseerzeugungen im Simmental, im Emmental und im Greyerzerland studiert wurden. Während der "Le Gruyere Käse" bereits eine geschützte Marke war, die unter diesem Namen nur in der Ursprungsregion erzeugt werden durfte, mussten die Emmentaler Erzeuger erleben, dass in den Niederlanden produzierter "Emmentaler Käse" zu wesentlich günstigerem Preis in der Schweiz verkauft werden konnte als die eigenen Produkte. Diese Erfahrung führte bei den Ennstaler Bäuer*innen zur Erkenntnis, ihre regionale Spezialität – den "Ennstaler Steirerkas" – durch ein europäisches Patent schützen zu lassen. Die Mühen dieses Prozesses, der rückblickend betrachtet große Geduld verlangte, nahm der Verein "Ennstaler Steirerkas" mit Marianne Gruber auf sich. 2014 wurde die erste Version im Österreichischen Patentamt eingereicht, die allerdings als unzureichend befunden 2015 wieder retourniert wurde. Für den zweiten Versuch wurde mit Unterstützung von einem Experten, der bereits mehrere Patentanträge für andere Genussregionen verfasst hatte, die Käseerzeugung auf der Alm und die industrielle Produktion in der Molkerei gemeinsam in einem Ansuchen beschrieben und im Oktober 2017 erneut in Wien eingereicht. Da inzwischen eine neue Bearbeiterin den Antrag beurteilte, gab es ihrem Verständnis nach andere Mängel und deshalb eine Zurückstellung im März 2018. Mit neuem Material versehen und neu formuliert entsprach das Ansuchen endlich den Vorgaben und wurde am 18. September 2019 in Österreich veröffentlicht. Am 28. Jänner 2020 reichte das Österreichische Patentamt den Antrag in Brüssel ein. Ein Fragenkatalog dazu, der vom EU-Patentamt im Mai erstellt worden war, konnte bis Juli 2020 erschöpfend beantwortet werden. Das Antragsverfahren hatte nun die Endphase erreicht. Mit der Veröffentlichung im Amtsblatt der EU vom 19. Jänner 2021 bestand nun die Möglichkeit für Mitgliedsländer bzw. Drittländer, innerhalb von drei Monaten Einspruch zu erheben, was allerdings nur mehr eine zeitlich aufschiebende Wirkung hat. Es lief alles nach Plan, sodass ab 10. Mai 2021 der "Ennstaler Steirerkas" EU-weit als Produkt geschützt ist. Coronabedingt wurde das Europäische Patent "Ennstaler Steirerkas g.U." erst beim Kasfest am 24. September 2022 im Schloss Großsölk von dem Präsidenten der Österreichischen Landwirtschaftskammer Stmk. ÖR Franz Titschenbacher und dem Landesrat ÖR [Johann Seitinger übergeben.

Was beinhaltet das Antragsverfahren "EU-Herkunftsschutz Geschützte Ursprungsbezeichnung"?

Eine umfangreiche Produktspezifikation ist Voraussetzung für einen Antrag, den eine Vereinigung von Erzeugern und Produzenten beim Patentamt in Wien stellt – in unserem Fall der "Verein Ennstaler Steirerkas". Das Antragsformular beinhaltet die Spezifikation, alle maßgeblichen Informationen über die Bezeichnung und das Produkt. Im "Einzigen Dokument" werden alle wichtigen Angaben zur Spezifikation zusammengefasst, die von Belegmaterialien zur Überprüfung ergänzt werden müssen. Die Dauer des Schutzes ist unbegrenzt, unter bestimmten Umständen kann eine Änderung der Spezifikation oder eine Löschung beantragt werden.

Wie ist die Spezifikation "Ennstaler Steirerkas" aufgebaut?

Sie beginnt mit einer Beschreibung des Lebensmittels:

Der "Ennstaler Steirerkas" ist ein bröseliger Urkäse (und damit steht er ziemlich einzigartig da), ein Sauermilchkäse aus roher oder pasteurisierter Kuh-Magermilch in Kegelstumpfform mit einem Gewicht bis zu vier Kilogramm. Der Geschmack reicht von säuerlich, kräftig-pikant, würzig bis scharf, der Geruch hat ein kräftiges bis würziges Aroma. Die Oberfläche des Käses ist trocken, in der Färbung bräunlich bis gräulich und von Trockenrissen durchzogen, im Inneren ist der Käse marmoriert und von einer körnigen oder bröseligen Struktur. Wassergehalt in der fettfreien Käsemasse sowie chemisch-physikalische Eigenschaften müssen angegeben werden.

Ein weiteres Kriterium ist die Beschreibung und die Herkunft des Futters:

Die Milchkühe weiden von Anfang Mai bis Ende September/Anfang Oktober auf Wiesen zwischen 500 und 1 800 m ü. A., auch im Stall sind die Gräser als Grünfutter, Heu oder Silage aus dem Ursprungsgebiet bereitzustellen. Für eine ausgewogene Nährstoffversorgung ist eine Zufütterung von Kraftfutter und Raufutter aus anderen Gebieten bis zu einem gewissen Prozentsatz zulässig. Mindestens 60 % der Trockenmasse des Futters müssen aber aus der Region stammen.

Nach der Beschreibung des Rohstoffs, der Milch, wird das traditionelle Erzeugungsgebiet des "Ennstaler Steirerkas" umrissen und der Zusammenhang mit dem geografischen Gebiet – dem politischen Bezirk Liezen in der nordwestlichen Steiermark – herausgearbeitet.

"Aufgrund der instabilen klimatischen Bedingungen, der hohen Gesteinsvielfalt, insbesondere Glimmerschiefer, Kalkstein, Dolomitstein, Marmor, Grünschiefer, Amphibolit und Sandstein, sowie der zahlreichen Geländeformen und Bodentypen, sind die naturräumliche Vielfalt und die Biodiversität sehr hoch. Die spezifischen Standortverhältnisse (Klima, Relief, Böden) in Verbindung mit extensiver Bewirtschaftung ermöglichen den für Bergwiesen und -weiden typischen Pflanzenbewuchs mit einem gegenüber Tallagen deutlich höheren Anteil von Kräutern in der Zusammensetzung und einer besonderen, standorts- und nutzungsbedingten Biodiversität."

Die artenreiche alpine Flora wirkt sich auf die Qualität des Milchfettes aus. Milch aus dem Ennstaler Berggebiet hat ein Fettsäuremuster mit höherem Anteil an ungesättigten Fettsäuren (Omega-3-Fettsäuren) und Beta-Carotin. Der aus dieser Magermilch gewonnene Sauermilchkäse hat einen sehr niedrigen Fettgehalt und enthält hochwertiges biologisches Eiweiß, Spurenelemente und Vitamine. Die industrielle Fertigung des "Ennstaler Steirerkas" erfolgt in Relation zur langen Tradition der Käseerzeugung erst seit den 1980er-Jahren. Dies unterstreicht noch einmal die Bedeutung der Menschen und ihrer handwerklichen Fähigkeiten bei der Produktion auf den Almen. Das Wissen um die Erzeugung des "Ennstaler Steirerkas" wird oft seit Generationen innerhalb der Familien weitergegeben. Der Geschmack und die besonderen Merkmale des Käses beruhen auf diesem traditionellen und regionalen Wissen der Senner*innen. Die beständige Auseinandersetzung mit den regionalen Wetterbedingungen in den exponierten Höhenlagen auf der Alm ermöglicht es ihnen, äußere Einflüsse auszugleichen und eine gleichbleibende Käsequalität zu erreichen.

Diese Bedingungen sind auch maßgeblich für die Reifung, die einen wesentlichen Anteil auf ein wohlschmeckendes Endprodukt ausübt. Der "Ennstaler Steirerkas" reift unter dem Einfluss von Edelschimmel und unter regelmäßigem Wenden in einem gut belüfteten Reiferaum bzw. -keller bei 6 °C bis 14 °C und einer Luftfeuchtigkeit von 60 bis 85 %. So entsteht die typische trockene, rissige bräunlich bis gräuliche Oberfläche des Käses. Die Käsestöcke müssen sorgfältig gepflegt werden, denn sie reifen oft bei hoher und schwankender Luftfeuchtigkeit in Naturkellern, was eine besonders aufmerksame Überwachung durch die Senner*innen nötig macht. Der Mensch entscheidet mit geübtem Blick, wann die Laibe gedreht werden müssen, und hat so erhebliche Einfluss auf die Käsequalität. Zuletzt muss noch festgehalten werden, dass der "Ennstaler Steirerkas" ein besonders ökologisches Lebensmittel ist, da während der Produktion kaum Transporte stattfinden. Die Milch wird im geografischen Gebiet erzeugt und entweder unmittelbar vor Ort oder nach Zurücklegung relativ kurzer Wege zu "Ennstaler Steirerkas" verarbeitet, wovon bis zu 80 % auf den Almen und in der Region verzehrt werden.

Unser Leben hat sich in den Jahren 2020 und 2021 unter dem Eindruck der weltweiten Pandemie stark verändert. Die Menschen begannen, viele ihrer Gewohnheiten zu hinterfragen: Mobilität, Freizeitgestaltung, Ernährung und vieles mehr. Regionale Nahrungsmittel, die Entdeckung der Entschleunigung oder die Suche nach neuen Werten sind prägende Erkenntnisse. Die Auszeichnung des "Ennstaler Steirerkas" als Produkt geschützten Ursprungs durch die Europäische Union passt geradezu perfekt in diese Zeit.

Quelle

  • Ein Beitrag von Marianne Gruber und Wolfgang Otte 2023 mit freundlicher Genehmigung zur Veröffentlichung im EnnstalWiki