Kindheitserinnerungen an Schladming

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In diesem Artikel erzählt Walter Stipperger von Kindheitserinnerungen an Schladming .

Einleitung

Wenn man nach mehr als sieben Jahrzehnten die Jugenderinnerungen, an Schladming im Geiste vorbeiziehen lässt, ist es kaum vorstellbar, dass sich während eines Menschenlebens der Alltag so geändert hat.

Lesesaal am Hauptplatz

Einst ein geruhsamer Markt, heute ein Fremdenverkehrs- und Wintersportzentrum mit internationalem Flair, bot Schladming seinen Gästen so manches das in den 1920er Jahren schon als sehr fortschrittlich galt. Ein Lesesaal im Hause der damaligen Bürgerschafts-Sparkasse am Hauptplatz stand den Urlaubsgästen die aus Graz und Wien aber auch aus Ungarn, der Tschechoslowakei und aus Deutschland kamen, zur Verfügung. Nicht nur für ausreichenden Lesestoff war gesorgt, es fanden im Saal fallweise auch kleine Konzertveranstaltungen statt. Konzert gab es wöchentlich auch einmal, von der Bürgermusikkapelle Schladming unter Kapellmeister Franz Tutter am Hauptplatz. Vor dem Musikpavillon drängten sich die Sommergäste und Einheimischen. Die Jugend hatte ihren Spaß bei Konfettischlachten. Zwischen dem Musikpavillon und der einstigen Sattlerei Schnitzer wurde zu den Weisen der Bürgermusik eifrig getanzt, während sich der Bummel oft bis weit über das Schloss Coburg hinaus in die abendliche Dunkelheit bewegte. Am Ende der "Platzmusik" wurden unter Vorantritt der Bürgermusik große Kreise gebildet und zum Gasthof Tutter (heute Raiffeisenkasse) "hinunter getanzt".

Am Bahnhof Schladming

Heutzutage ist ein Tagesablauf am Bahnhof Schladming, wie ich ihn einst erlebte, nicht mehr vorstellbar. Wenn am Vormittag der "Postzug" von Selzthal hier ankam, war ein Pferdegespann mit Herrn Fischer im Auftrage des Postamtes zur Stelle. Fischer blies auf seinem Flügelhorn am Weg zum Bahnhof und bis zum Eintreffen des Postzuges einige landesübliche Weisen. Auch für das Postamt in Ramsau war ein Pferdefuhrwerk mit dem vulgo "Bärenkopf" gekommen, um die vielen Pakete vom Zug entgegen zunehmen. Größere Frachtstücke wurden für Schladminger Empfänger von der Spedition Schütter übernommen, für die Ramsauer besorgte dies der "Tritscher Hans" in lautstarker Art.

Gegen 14 Uhr gab es am Bahnhof immer großes Getriebe. Die Schnellzüge von Wien (Graz) und München (Salzburg) wurden erwartet. Am Bahnhofsvorplatz standen die Fiaker der Hotels "Alte" und "Neue Post" bereit, um allenfalls Urlaubsgäste ins Quartier zu bringen. Eine größere Zahl von ländlichen Fuhrwerken mit Ochsen oder Pferden bespannt brachte die "Fremden" auf das Rohrmoos oder in die Ramsau. Wenn Gäste für die Nachbarort Haus oder Pichl erwartet wurden, kam entweder das erste Mietautounternehmen Sittner von Haus im Ennstal oder das mit Hengsten bespannte Gefährt der Fremdenpension Parzani aus Pichl zum Bahnhof Schladming.

Als der erste Linienautobus auf die Ramsau seinen Betrieb aufgenommen hatte, gab es am Bahnhof Schladming "wahre Kämpfe" um Sitzplätze. Sofort nach Ankunft der Urlauber wurde der Bus gestürmt, wobei man gleich über die Bordwand des offenen Busses Gepäckstücke warf, um ja einen Sitzplatz zu erobern. Oft wurden unsere Eltern von bekannten Urlaubsgästen schriftlich gebeten, dass die "Buben" im Autobus schon vor Ankunft des Zuges Plätze besetzen sollten.

Eine hilfreiche Person für die ankommenden Urlauber war auch der Dienstmann Eduard Stocker der mit seinem zweirädrigen Karren gemächlichen Schrittes so manches Gepäckstück vom Bahnhof in den Markt beförderte. Aus Altersgründen überließ Stocker dem Ehepaar Janser seinen Dienst. Nun ist auch am Bahnhof Schladming der Ruf "Hallo Dienstmann" längst verklungen.

Während des Aufenthaltes der Schnellzüge am Bahnhof war die Gattin des Bahnangestellten Hackl eifrig bemüht, den durstigen Fahrgästen Wasser anzubieten, wofür sie 10 Groschen bekam. Der Bahnhofgastwirt Valentin Gruber war ebenfalls an den Waggon unterwegs, um auf einem großen Tablett Eis anzubieten. Ein eifriger Besucher des Eisenbahnverkehrs am frühen Nachmittag war der evangelische Pfarrer Otto Kirnbauer, der fast ein Spezialist im Erkennen verschiedener Lokomotiven war. Am typischen Geräusch der Lokomotiven erkannte Kirnbauer ob der als nächster, sich dem Bahnhof Schladming nähernde Zug von einer Lokomotive der Serie 429 (Personenzug), 113 (Schnellzug) oder der Serie 10 (Lastenzug) gezogen wird.

Kaum in Erinnerung wird manchem Schladminger sein, dass ernstlich erkrankte Ortsbewohner von Mitgliedern der Freiwilligen Feuerwehr mit ärztlichem Beistand auf einer zweirädrigen Tragbahre zum Bahnhof geführt wurden, um im Paketwagen des nächsten Zuges nach Rottenmann ins Spital gebracht zu werden.

Klassenkämpfe unter der Jugend

Bisweilen gab es unter der Jugend im Ortsbereich auch "Klassenkämpfe", wenn die "Stadtler" den "Vorstadtlern" - oder auch umgekehrt - einen Streich spielten. Scheinbar glaubten sich die jugendlichen Bewohner innerhalb der alten Stadtmauern immer noch bevorzugter als die "VorstadtIer". Eines Sinnes war man aber meist, wenn es galt "Räuber und Gendarm" im Bereich des Marktplatzes zu spielen. Die einzige Gefahr aber drohte nur dem fröhlichen Spiel, wenn der gestrenge Herr Schuldirektor Rieder nahte. Obwohl schon lange in Pension galt Direktor Rieder doch bei der Jugend meist als furchterregende Persönlichkeit. Und wenn plötzlich der Ruf "der Rieder kommt" laut wurde, verschwand die spielfreudige Jugend in Haus und Hof und wähnte sich sicher vor den gestrengen Ordnungsrufen des alten Herrn Direktors.

Originale gehörten zum Stadtbild

Zum Ortsbild Schladmings gehörten auch so manche Originale, deren Existenz heute längst vergessen ist. So war es zweifellos ein amüsantes Erlebnis, wenn man. den Geschwistern Berta und Ida Seef (von Norden) begegnete. Während Ida in würdiger Tracht einer Diakonissin etwas mürrisch dem Alltag gegenüberstand, war Berta stets für meist langandauernde Gespräche, Deklamationen von Gedichten oder gar dem Vortrag von Liedern bekannt. Nicht wegzudenken aus dem Ortsbild von Schladming war auch der "Wagner Sepp", von dem man sich heute noch unter Einheimischen so manche humorvolle Episode erzählt. Oder etwa der "Kolbl Toni", der Hochzeitsfotos auf seiner alten Plattenkamera vor dem Gasthof Ilgenfritz aufnahm – immer assistiert von seiner Frau, der "Kitzwampl Viktl". Erwähnenswert wäre weiter noch der "Meister Pumpernik", ein altgedienter Schuhmacher, der seine 'Glückwünsche an Schladminger Honorationen grundsätzlich nur mit roter Tinte schrieb. Allen bekannt war aber der "Pachauer Naz" (sen.). Er waltete nicht nur als Mesner seines Amtes, sondern war auch ein hervorragender Dekorateur, wenn es galt Festen mit Fahnen und Girlanden einen besonderen Schmuck zu verleihen.

Sonntagsvergnügen

Autobesitz war bei den Schladmingern der 1920 keine Selbstverständlichkeit und so zählte ein Sonntagsspaziergang in die nähere Umgebung des Ortes zu einer erholsamen Abwechslung des Alltages der wohl weniger hektisch verlief als in unserer Zeit. Zum "Pruggerer" ins Untertal, oder weiter zum "Tetter", eine Einkehr beim Pichlhofwirt, oder gar ein ausgedehnter Spaziergang zum "Oberhauser Wirt", wo es dann für uns Kinder als "Belohnung" ein Soda mit Himbeer gab, zählten zu den üblichen Ausflugszielen am Sonntag Nachmittag. Besonders gerne aufgesucht wurde nach einer Wanderung auf der "Hochstraße" die Jausenstation "Strasser", denn dort gab es noch eine hörenswerte Besonderheit- ein "Orchestrion" – einen Musikautomaten, der nach einem Münzeinwurf eine lautstarke Melodie von sich gab. Heute steht dieses musikalische Unikum im Ausgedinge, aber doch viel bestaunt im Schloss Trautenfels Universalmuseum Joanneum.

Wir wollen unsere "Kindheitserinnerungen an Schladming" beschließen mit der Erinnerung an das einst übliche "Feierabendläuten" um 17 Uhr vom Kirchturm, das für das Dienstpersonal in Bürgerhäusern das Zeichen war, den Gehsteig zu reinigen. So ging der Tag zu Ende für uns bleibt die Erinnerung an manch Iiebgewordene Begebenheit im Schladming von einst.

Quelle