Ein Brief aus Kaukasien

Aus EnnstalWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Ein Brief aus Kaukasien berichtet von den Kaukasier-Auswanderer aus dem Ennstal.

Einleitung

Der evangelische Pfarrer von Schladming, Senior Gerhard Krömer, hat im Schladming-Buch auf Seite 214 unter dem Titel "Die Kaukasier-Bewegung 1884 bis 1888" auf die vom bayrischen Pfarrer Samuel Gottfried Christoph Clöter gegründete "Endzeit-Sekte" hingewiesen. Clöter warb für die Auswanderung nach Kaukasien, da seiner Meinung nach dies der Zufluchtsort während der "Heimsuchung" sei, von der die Menschheit in naher Zukunft erfasst werden würde. Aus Schladming und der näheren und weiteren Umgebung wanderten im Sinne Clöters 44 Personen bis 1888 nach Kaukasien aus, um den wenig verheißungsvollen Ereignissen der irdischen Endzeit in der alten Heimat zu entgehen.

Es ist allgemein bekannt, dass Wilhelm Prugger, der verstorbene Gemeindesekretär der Gemeinde Rohrmoos-Untertal - selbst ein Verwandter einstiger Emigranten - eine interessante Dokumentation aus Briefen von Nachkommen der Auswanderer zusammengestellt hat, die nun seine Witwe betreut. Wir wissen aus diesen Briefen, dass die in "gutem Glauben" ausgewanderten Ennstaler nur die Jahre bis zur Russischen Revolution im Jahre 1917 sich aus eigener Initiative eine neue Existenz schaffen konnten, bis Kolchosenwirtschaft und Enteignung und später der Zweite Weltkrieg dieser Zeit ein jähes Ende bereiteten.

Bitterkeit und Resignation spricht aus den Briefen, die zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg an Verwandte und Bekannte nach Schladming gerichtet waren.

Ein Brief aus Kaukasien

Ein Schreiben vom 17. Oktober 1887 von Frau F. Daumlechner an die Uhrmachersgattin Maria Angerer in Schladming gerichtet, ist im Steiermärkischen Landesarchiv (Spezialarchiv Schladming, Schüber 13, Heft 66a) aufbewahrt. In diesem Schreiben sind die Licht- und Schattenseiten des Lebens in der neuen Heimat dargestellt: Landwirtschaftliches Wohlergehen, Unsicherheit durch die ständigen Überfälle von Tartaren und Heimweh charakterisieren das Schreiben von Frau Daumlechner, aus dem auszugsweise folgendes zu entnehmen ist-

"Gnadenburg, am 17. Oktober 1887, bei Euch der 29te.
Geehrte Freundin! O wie lang war mein Verlangen, Euch theuerste Freundin nach Schladming zu schreiben. In der Nacht kenn ich wegen schlecht sehen gar nicht schreiben, am Tag ist man in der Wirtschaft ganz engesprachen. Herzlichen Dank für Euren lieben Brief, er liegt in meinem Liederbuch. Er erinnert mich jedesmal, wenn ich in die Kirche gehe an Euch. Wir sind alle gesund Gott sei Dank. Haben auch dieses Jahr gute Ärnte trotz dem daß wir fast den ganzen Sommer und Herbst bis auf jetzt vor kurzer, Zeit keinen Regen gehabt Der Wein ist dies Jahr prachtvoll viel und gut. Hier ist das Mutterland vom Wein. Im ganzen haben wir 6 Joch Wein. Viel Arbeit braucht er schon. Ach könnt ich Euch ein Faß hinwünschen, wir haben prachtvolle Sorten.

Wir haben 8 Küh, 14 Stück Jungvieh, 8 bis 10 Pferd. Hühner kann ich nie zählen, sehr viel, Gäns 26 Stück, auch Schweine, Schafe und Ziegen haben wir. Die Lies heiratete einen Bauern, die Theres ist schon im Winter fort; in der Welt ist alles veränderlich, aber Gott bleibet. Franzl lernt die Gerberei. Brugger und Binder sind liebe Leute. Wir habens nie bereut, daß wir fort sind. Wann nur die Mutter hier wäre und die Geschwister!

Mit den Thartharen ists wohl manchmal schlimm wegen dem Viehstehlen. Aber es muß alles bezahlt werden, sie werden sehr streng von der Obrigkeit gehalten. Wenn man weis, von welchem Dorf die Diebe sind, da muß man sie schnell ausspionieren und das ganze Dorf muß zahlen. Ach wenn die Kerle nur einmal fort wären. In was für schöne Gegenden sie sitzen. Wenn genug Eingewanderte kommen, müssen sie fort. Das Land ist sehr fruchtbar, es braucht nichts gedüngt zu werden. Es ist ein wenig bergig aber bei uns ist es eben. Es reift alles ungemein schnell. In drei Monaten sind die Arbusen und Melonen reif.

In Wladikaska ist der Luxus grad wie draußen bei Euch. In den Städten wird immer neu hergerichtet. Es ist unsere Hauptstadt, wir sind eine Tagreise entfernt. Sie liegt im Kaukasus. Sie hat ein wenig Ähnlichkeit mit Irdning oder Gröbming aber die Gebirgsspitzen sind majestätischer, beiläufig wie der Dachstein. Bis dorthin geht jetzt die Bahn. Jetzt wird sie bis ans Kasbische Meer gebaut. Von Wladikaskas geht’s durchs und übers Gebirg, eineinhatbTagreisen, gerad wie auf den Tauern, nur weit höher nach Tiflis.

Viele Grüße auch an Herrn Vernouilett und Frau Baronin und Fräulein Pauline. Wir denken in Dankbarkeit an sie. Vater befiehlt extra dem Herrn Bruder Schlosser und Frau zu grüßen auch den Herrn Postmeister und an die Weiklischen und Bruggnerischen. Von uns alle herzliche Grüße an Euch alle. Wir verbleiben in Liebe und Dankbarkeit Eure Franziska Daumlechner."

Am Beginn des Briefes heißt es "Gnadenburg, am 17. Oktober 1887, bei Euch der 29te.", damit wollte die Schreiberin darauf hinweisen, dass zur damaligen Zeit die Russen als Bekenner der nicht unierten griechischen Kirche nach der alten Jahresrechnung (dem Julianischen Kalender) datierten, die zum Unterschied des Gregorianischen Kalenders um 13 Tage differierte. Der am Schlusse des Briefes genannte "Herr Vernouilett" war der große Gönner Schladmings, der auf sozialem Gebiet für die Bevölkerung des Ortes Beachtliches leistete. Die weiters genannten "Frau Baronin und Fräulein Pauline" war die Tante der Malerin Pauline Flechner-Halm, Gräfin Pauline Baudissin d'Avernas und die Künstlerin selbst.

Quelle