Der Stein tot und lebendig

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Stein Tod und Lebendig

Über den Stein tot und lebendig in Pürgg am Marterlweg, erzählt von Anton Adam.

Einleitung

Wenn man vom kleinen Bergnest Pürgg den steinigen Weg zur Dachsteinaussicht empor wandert, fällt einem unter den mächtigen Abstürzen des Gindlhorns, knapp neben den Weg, ein großer Steinblock auf. Ihn ziert ein großes Kreuz in schwarzer Farbe. Darunter steht eine Jahreszahl und Initialen – sonst nichts. Wenn man die Einheimischen fragt was es mit dem Stein für eine Bewandtnis habe? Erhält man zur Antwort:

Das ist der Stein tot und lebendig

Vor vielen Jahren, als dieser Weg die einzige Verbindung zwischen dem Hochtal Wörschachwald und dem Kirchdorf Pürgg darstellte, lebten auf benachbarten Höfen zwei Bauern die Todfeinde waren. Einer beschuldigte den anderen, einen Grenzstein versetzt zu haben, und nie wurde zwischen den beiden ein Gruß oder ein gutes Wort gewechselt.

Wenn damals ein Wörschachwalder im Winter das Zeitliche segnete und für immer Abschied nahm vom schweren Leben eines Bergbauern, da konnte es manchmal eine Woche und länger dauern, bis er am Pürgger Gottesacker seine letzte Ruhe fand. Meterhoher Schnee und Stürme verzögerten oft das Leichenbegängnis. Darum stand am Dachboden jedes Bauernhofes ein leerer Sarg. Darin wurden im Herbst die Dörrbirnen, "Kletzen" genannt, aufbewahrt, bis die Bäuerin im Advent das köstliche, saftige Kletzenbrot buk. Wenn jemand starb, konnte es vorkommen, dass die Kletzen wohl oder übel ausgeleert werden mussten, und die Truhe aus Fichtenbrettern nahm dann den Toten auf, bis der Weg nach Pürgg passierbar war und man ihn zur letzten Ruhe geleiten konnte.

Auch für einen der beiden Nachbarn schlug die Sterbestunde und der Leichnam kam in den Sarg im Dachboden. Sein Eheweib, der Feindschaft müde, tat nun den Weg zum Nachbarn, hoffend, dass der Tod des Bauern die rechte Gelegenheit wäre, den unseligen Streit ein für allemal zu beenden.

"Weißt was, Nachbar", gab sie ihm zu wissen, "der unselige Grenzstein soll bleiben, wo er ist und von der alten Feindschaft wollen wir nimmer reden. Zum Zeichen, dass du damit einverstanden bist, erweis` meinem Mann den letzten Dienst und bring` ihn hinunter auf den Friedhof nach Pürgg." Weil der Tod auch einen dickschädligen Bauern versöhnlich zu stimmen vermag, sagte der Nachbar zu. Ein paar Tage darauf bindet er die Totentruhe auf dem Hörner Schlitten fest und will seinen alten Gegner hinunter zum Friedhof bringen. Auf dem steilen Weg stemmt er mit aller Kraft seine Füße in den Schnee, kann aber trotzdem nicht verhindern, dass er in einer Kurve plötzlich die Herrschaft über den Schlitten verliert. Während er mit dem Schlitten über die Böschung geschleudert wird, lockern sich die Stricke, mit denen der Sarg festgebunden ist. Der Sarg rutscht nach vorne und trifft den Gestürzten mit voller Wucht im Genick so, dass er tot unter dem Sarg liegen liegen bleibt.

"Jetzt können wir uns schon denken, wer den Grenzstein verrückt hat, flüsterten die Leute, umsonst hat der Tote nicht den Lebendigen erschlagen." Und von der Stunde an heißt der Stein, bei dem sich diese zugetragen hat, der Stein tot und lebendig.

Im Jahre 1903 hat mein Großvater das Kreuz wieder mit Farbe aufgefrischt und die Jahreszahl mit den Initialen daruntergesetzt, damit die Erinnerung daran lebendig bleiben soll und sich kein Pürgger oder Wörschachwalder je einfallen lasse, einen Grenzstein zu versetzen. Und wenn heute der Enkel, der den gleichen Namen wie sein Großvater trägt, diese Geschichte zu Papier bringt, so deshalb, damit auch der Ortsfremde, der an diesem Stein vorbeikommt, wissen soll, dass jedes Unrecht einmal seine Strafe findet und es besser ist, Frieden zu halten in der ohnedies sehr Streit vollen Zeit.

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Quellen

  • Hermann Harreiter per E-Mail an Administrator Peter am 7. Juli 2020
  • In der Alpenzeitschrift 1960 wurde die Geschichte von Anton Adam veröffentlicht lt. "Da schau her", Ausgabe 4/1990, Zeitschrift des Vereins Schloss Trautenfels